A. Einleitung

Hausbesetzungen, Mietstreiks und andere Aktionen gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung sind in erster Linie Reaktionen auf vorgefundene Verhältnisse. Bei der Betrachtung dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ist es unserer Meinung nach wichtig, sich nicht nur die konkreten Gegebenheiten ‘vor Ort’, also im jeweiligen Stadtteil oder in der Stadt, anzuschauen, sondern auch politische und ökonomische Entwicklungslinien in Deutschland (bis 1945) bzw. der BRD (1945-95) zu berücksichtigen. Oder, um es mit Friedrich Engels auszudrücken, der bereits 1872 in seinem Werk ‘Zur Wohnungsfrage’ feststellte: “In einer solchen Gesellschaft ist die Wohnungsnot kein Zufall. Sie ist eine notwendige Institution, sie kann (...) nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund auf umgewälzt wird .”[1]
Daraus ergibt sich für unsere Arbeit folgender Aufbau:
In den Kapiteln B. I. (Wohnen als Menschenrecht oder als Mittel zur Vermögensbildung?) und B. II. (Stadtentwicklung und gesellschaftlicher Wandel) entwickeln wir vor dem Hintergrund der ökonomischen und politischen Entwicklung in Deutschland/der BRD die Begriffe ‘Wohnen’ und ‘Stadtentwicklung’.
Es folgt mit Kapitel C. ein umfangreicher historischer Teil, den wir in vier Abschnitte gliedern:
(I.) ‘Die Weimarer Republik’,
(II.) ‘Die siebziger Jahre und Vorgeschichte’,
(III.) ‘Die achtziger Jahre’ und
(IV) ‘Die neunziger Jahre’.
In jedem dieser Teile beschreiben wir zunächst die wesentlichen gesellschaftspolitischen Entwicklungen unter besonderer Berücksichtigung der außerparlamentarischen Protestbewegungen. Es folgt eine Übersicht der wichtigsten ökonomischen und sozialen Komplexe. In einem separaten Kapitel untersuchen wir die Wohnungspolitik in der BRD und anschließend die Hausbesetzungen in der BRD anhand ausgewählter Beispiele.
Erst jetzt wenden wir uns einer Untersuchung der Düsseldorfer Geschichte zu, wobei wir besonderes Gewicht auf die Aspekte Wohnungspolitik, Stadtplanung und Umstrukturierung legen. Schließlich wollen wir in dem Teil ‘Politische Aktionen gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung’ Entstehen, Arbeit und Verschwinden von Gruppen und BürgerInneninitiativen, die sich gegen ihre Verdrängung aus dem Stadtteil, wohnraumvernichtende Planungen und Wohnungsnot zur Wehr gesetzt haben, genauer unter die Lupe nehmen. Der Schwerpunkt liegt hier bei den Düsseldorfer Hausbesetzungen.
Wir erheben für diesen Teil keinen Anspruch auf Vollständigkeit, meinen aber, einige der interessantesten Entwicklungen in Düsseldorf von 1970 bis heute erfaßt zu haben. Im Kapitel C. I. (Die Weimarer Republik) haben wir außerdem einen Blick auf die Verhältnisse in der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland geworfen, um einen Vergleich zwischen dieser historischen Periode und den völlig andersartigen Bedingungen in der BRD zu ermöglichen.
Am Ende jedes Kapitels fassen wir noch einmal kurz die wesentlichen Aspekte der jeweiligen Periode zusammen, stellen Verbindungen zwischen den verschiedenen Ebenen her und bewerten die unserer Meinung nach wichtigsten politischen Aktionen.
Im abschließenden Kapitel D. (Fazit/Ausblick) bilanzieren wir, welche Rolle Hausbesetzungen im Rahmen von Protesten gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung gespielt haben und was aus den besetzten Häusern geworden ist. Im Ausblick widmen wir uns der Frage nach der Zukunft von Hausbesetzungen unter sich rasch verändernden gesellschaftlichen Bedingungen und versuchen, eine Einordnung dieser Aktionsform in eine linke, kommunale Strategie vorzunehmen.
Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß der Umfang unserer Arbeit den für Diplomarbeiten üblichen Rahmen überschreitet.
Dies ist in erster Linie das Resultat einer sehr ausführlichen Dokumentation der Ereignisse in Düsseldorf und der ‘politischen Aktionen gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung’. Wir geben hierbei zu bedenken, daß mit dieser Arbeit unseres Wissens nach erstmalig ein umfassender Überblick über den beschriebenen Themenkomplex vorgelegt wird. Es war uns sehr wichtig, die von uns erschlossenen Quellen und Dokumente möglichst vollständig auszuwerten und niederzuschreiben. Vielleicht können wir so dazu beitragen, einen spannenden und wichtigen Teil der Geschichte Düsseldorfs vor dem ‘Vergessen’ zu bewahren.
Der Umfang der Arbeit resultiert zum anderen aus einem sehr ausführlichen ‘allgemeinpolitischen’ Teil, in dem wir die politischen und ökonomischen Bedingungen jeder Epoche beschreiben. Zunächst mußten wir feststellen, wie wenig kritische Literatur gerade zur jüngeren Geschichte der BRD existiert. Bei der Ausarbeitung dieses Teils wurde für uns die persönliche Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte immer wichtiger. Wir verstehen diesen Teil also auch als das Resultat eines spannenden Prozesses von Reflexion und Diskussion, in dessen Mittelpunkt das Erfassen von politischen Zusammenhängen stand.
Noch ein Wort zu unserem politischen Hintergrund: Beide beschäftigen wir uns schon seit einiger Zeit mit der Thematik und haben in mehreren Gruppen mitgearbeitet, die aktiv gegen Wohnraumvernichtung und Umstrukturierung geworden sind. In jüngster Vergangenheit ist hier die Mitarbeit in der ‘Initiative Kaiserswerther Straße’ sowie die Vorbereitung und Durchführung von zwei Besetzungen eines Wohnhauses in Düsseldorf-Golzheim am 2. Februar und 1. Mai 1995 zu nennen. Wir begreifen Düsseldorf - die Stadt, in der wir leben - als einen Ort der politischen Auseinandersetzung. Wir sind politisch aktiv, um diesen Ort zu gestalten und zu verändern.
Am Ende dieser Einleitung sei auf einen Artikel hingewiesen, der vor fast drei Jahren in der linken Düsseldorfer Stadtzeitung Terz erschien, und in dem sich die AutorInnen mit einer anderen Hausbesetzung - der des Hauses Alt Pempelfort 15 im Dezember 1990 - auseinandersetzen: “Nun drängt sich allerdings die Frage auf, wozu das Ganze? Geht es hier lediglich um das kritische Abfeiern des 2jährigen Jubiläums einer Aktion, die gerade mal 3 ½ Wochen andauerte? Wenn dieser Artikel mehr sein soll, muß versucht werden, die Frage zu beantworten, ob und in welcher Form Hausbesetzungen noch ein geeignetes Mittel sind, auf gesellschaftliche Mißstände aufmerksam zu machen, und ihnen konkreten Widerstand entgegenzusetzen. Außerdem, welcher Art diese Mißstände heute sind (im Unterschied zu damals), und auf welche Kräfte sich eine Besetzung heute stützen könnte. [2]
Dem können wir uns nur anschließen.
Wir hoffen, mit unserer Arbeit dazu beizutragen, einige der aufgeworfenen Fragen zu beantworten und würden uns wünschen, daß sie auch von anderen interessierten Personen gelesen wird. Sie ist nicht geschrieben worden, um in unseren Regalen zu verstauben.


[1] MEW 18, S. 237.
[2] Terz, 1/93, S. 16.


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