4.2 Fazit

4.2.1 Die SiedlerInnen

Die Wohnungsnot stand in Düsseldorf in den Jahren von 1919 bis 1933 im Zentrum heftiger politischer und juristischer Auseinandersetzungen. Wohnungslosigkeit war keine vereinzelte Erscheinung, sondern ein existentielles Problem tausender Menschen.
Wir konnten nicht quantifizieren, wieviele der von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit Betroffenen sich durch bewußte politische Aktionen und Protest gegen Stadtverwaltung und HausbesitzerInnen zur Wehr setzten. Wir fanden jedoch vereinzelte Hinweise auf Haus- bzw. Wohnungsbesetzungen und Mietstreiks. Wir gehen davon aus, daß diese Aktionen nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme darstellten.
Der größte Teil der Wohnungslosen zog mangels Alternativen an die Ränder der Städte und ließ sich dort meist in ‘wilden’ Siedlungen nieder. Dabei spielte die Selbstversorgung mit Lebensmitteln eine zentrale Rolle.
Viele der SiedlerInnen haben sicherlich durch den Bau von etwas ‘Eigenem’ eine Lebensperspektive in ihrer unermeßlichen Not gesehen. “ Wir waren aber das Nichtstun leid, wir wollten nicht stumpfsinnig werden, wir wollten zeigen, daß wir arbeiten konnten, wenn man uns nur Arbeit gibt.(...) Siedeln schuf bei den Arbeitslosen Selbstbewußtsein, Mut und Lebenssinn. [319] Das Siedeln am Stadtrand hatte keinesfalls etwas Idyllisches, auch wenn viele versuchten, “ mit ihren Behausungen kleine Idyllen zu schaffen; (...) [es] war von vielfältigen menschlichen Katastrophen begleitet. [320]
Die SiedlerInnen, überwiegend arbeitslose ArbeiterInnen und HandwerkerInnen mit ihren Familien, verschwanden einfach aus den Städten. Für die meisten PolitikerInnen und die Verwaltung waren sie schlicht nicht existent.
Es wäre interessant gewesen, Positionen der linken Parteien, KPD und SPD, zum ‘Problem’ der SiedlerInnen zu untersuchen. Diese lagen uns jedoch nicht vor. Auch die Frage, ob und wieviele SiedlerInnen in linken Parteien organisiert waren, konnte anhand der vorhandenen Quellen nicht überprüft werden.
Die meisten SiedlerInnen waren jedenfalls nicht mehr für ‘revolutionäre Umtriebe’ zu haben. Sie “ waren eben mit dem Bau ihrer ...Unterkünfte beschäftigt ."[321] Der permanente Existenzkampf in den wichtigsten Bereichen der Reproduktion - Wohnen und Ernährung - ließ ihnen kaum Raum für politische Aktivitäten
Die Gründung ‘wilder’ Siedlungen wie dem ‘Heinefeld’ waren - genauso wie das (halb)legale Siedeln in Kleingartenvereinen - in erster Linie existenzsichernde Eigeninitiativen von ausgegrenzten und pauperisierten ‘VerliererInnen’ der Wirtschaftskrisen.
Subjektive Faktoren, wie die Gestaltung von Freiräumen oder das Ausprobieren neuer Lebensformen, spielten bei dieser ‘Flucht aus den Städten’ praktisch keine Rolle. Auch liegen keine Berichte über primär politisch motivierte Landbesetzungen bzw. ‘wilde’ Siedlungsprojekte vor.
Eine Ausnahme bildete die von Anarcho-SyndikalistInnen durchgeführte Landbesetzung in den ‘Hildener Banden’ mit dem Siedlungsprojekt ‘Freie Erde’. Die AnarchistInnen waren stark von Gustav Landauers Ideen von der Gründung ‘freier Siedlungen’ und der partiellen Überwindung kapitalistischer Produktion und Kultur m ‘Hier und Jetzt’ inspiriert. Sie verstanden ihr Projekt als gesellschaftsverändernd [322] und propagierten die Aufhebung der Trennung von ‘privaten’ und ‘politischen’ Bereichen. Es ging ihnen nicht ausschließlich um die Beschaffung von Wohnraum und die Sicherung der Nahrungmittelversorgung, sondern auch um die Erprobung einer sozialistisch/anarchistischen Utopie in einer kapitalistischen Gesellschaft.

4.2.2 Kommunale Maßnahmen zur Beseitigung der Wohnungsnot
Trotz der großangelegten Wohnungsbauprogramme ab 1929 gelang es der Stadtverwaltung nicht, genügend preiswerten Wohnraum für Arbeitslose und andere Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten zu schaffen. Ausschlaggebend für das Ende der Bauvorhaben war, wie beschrieben, die einsetzende Weltwirtschaftskrise, die die finanziellen Spielräume der Kommune drastisch einschränkte und zugleich die Zahl der Arbeits- und Wohnungslosen in die Höhe schnellen ließ.
“In den Folgejahren der Weimarer Republik nahm dann die Bautätigkeit sehr beachtlich zu, so daß, wenn das Wohnungsbautempo von 1928/29 weitere zwanzig Jahre angedauert hätte, der Wohnungsnot ein Ende bereitet worden wäre. Wenn...aber wir befinden uns in einer kapitalistischen Gesellschaft, und so entwickelte sich der Wohnungsbau in dem letzten Jahrzehnt vor dem zweiten Weltkrieg: Während der Krisenjahre 1930/32 sank der Wohnungsbau schnell ab, und die so manches versprechende zweite Hälfte der zwanziger Jahre wurde von einer neuen rapiden Verschlechterung der Wohnverhältnisse abgelöst. [323]
Durch die Abschaffung der ‘Wohnraumzwangswirtschaft’, die von den Interessenverbänden der WohnungseigentümerInnen entschieden bekämpft wurde, wurde 1927 ein wichtiges Instrument zur Regulierung des Wohnungsmarktes beseitigt.
Angesichts der katastrophalen ökonomischen Rahmenbedingungen halten wir es für relativ unwahrscheinlich, daß die Kommune alleine mit dem Problem der Wohnungsnot hätte fertig werden können.


[319]Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 390.
[320]Ebenda, S. 392. (Eine Frau, die ihre Wohnung räumen sollte, tötete in ihrer Verzweifelung ihre drei Kinder und beging anschließend Selbstmord)
[321] Ebenda, S. 275.
[322] Dieser Ansatz wurde alledings auch innerhalb der FAUD sehr kontrovers diskutiert.
[323] Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Band 5, S. 387.


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