3.4 Mietstreik in der Bastionsstraße 1932/33

Etwa zur gleichen Zeit, gegen Ende der 20er Jahre, befinden sich die meisten Häuser in der Altstadt in einem miserablen, völlig verrotteten Zustand. Ein Großteil diese Häuser wird von ArbeiterInnen und SubproletarierInnen [304] bewohnt. Die notwendigen Renovierungsarbeiten zum Erhalt der Häuser werden von den BesitzerInnen nicht getätigt, da diese Investitionen für sie keinen höheren Gewinn versprechen. Aus den MieterInnen der alten Häuser wird bereits der höchstmögliche Mietzins ‘herausgepresst’.
Ein Beispiel für Verwahrlosung von Bausubstanz [305] und eine erfolgreiche Gegenwehr von MieterInnen ist die Bastionsstraße 33. [306]
Im Haus ist die Kanalisation seit langem verstopft und es existiert eine unerträgliche Rußbelästigung durch fehlende Kaminsperren. Die Flure sind sanierungsbedürftig, das Treppenhaus wie auch die Wohnungen in katastrophalem Zustand. Obwohl der Hauseigentümer Belles es nicht für nötig hält, die längst überfälligen Reparaturen durchzuführen, erhebt er sehr hohe Mieten und die Mietverträge widersprechen in vielen Punkten dem Reichsmieterschutzgesetz. Ein Arbeitsloser, der mit seiner Frau und zwei Kindern ein Zimmer bewohnt, muß monatlich 29 Mark an Belles bezahlen. [307] Ein kleiner Geschäftsmann, der in dem angrenzenden Ladenlokal ein Eisbüdchen betreibt, wird durch die Mietforderung von 110 Mark in den Ruin getrieben. Nach ausbleibenden Mietzahlungen erhält er ‘postwendend’ die Räumungsklage.
Schönheitsreparaturen haben die MieterInnen selbst zu tragen, wofür Belles jedoch 4% mehr Mietzins erhebt. Beschwerden und Einwände werden mit der Aufforderung quittiert: “Wenn ihnen das nicht paßt, dann ziehen sie doch aus .”[308]
Diese Zustände veranlassen 12 Mietparteien der Bastionsstraße 33 im November 1932, eine Hausversammlung einzuberufen. Auf dieser werden fünf Forderungen an den Vermieter gestellt:

“1. Abschluß von Mieten, die unter das Reichsmieterschutzgesetz fallen.
2. Herabsetzung der Mieten auf ein erträgliches Maß, das zu dem Einkommen der Mieter in vernünftigem Verhältnis steht.
3. Einrichtung einer Waschküche.
4. Durchführung der notwendigen Reparaturen und Abstellung der größten Mißstände.
5. Zurücknahme der Räumungen.” [309]
Durch die sofortige Aufnahme eines gemeinsamen Mietstreiks verdeutlichen die BewohnerInnen die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens.
Belles reagiert mit Anzeigeerstattung gegen die Streikenden bei der Kriminalpolizei, die tatsächlich die Ermittlungen wegen des Straftatbestandes ‘Erpressung’ aufnimmt. Da jedoch 1932 ein Grundsatzurteil am Berliner Amtsgericht gefällt wurde, daß “Mietstreiks, wenn diese auf einer Hausversammlung beschlossen worden waren, keine strafbaren Handlungen” [310] darstellen, bleibt der Familie Belles nach 3½-monatigem Mietstreik im Februar 1933 nur noch die Möglichkeit, auf die Forderungen der MieterInnen einzugehen.
Viele Reparaturen werden nun durchgeführt und ebenso wie die Gerichtskosten vollständig vom Hauseigentümer getragen. Darüber hinaus erhalten die MieterInnen nun die Möglichkeit, ihre Mieten in zwei Monatsraten zu zahlen.
“NachahmerInnen fanden die erfolgreichen MietstreikerInnen allerdings nicht mehr. Ihren Sieg hatten sie wenige Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten errungen .”[311]


[304]Vgl. Terz 4/92, S. 20.
[305] Aus einer städtischen Untersuchung von 965 Häusern mit 1.409 Wohnungen im Jahre 1922/23:Lediglich bei “295 ‘Fällen’ gab es keine Beanstandungen, bei 487 stellte man eine vernachlässigte Instandhaltung fest, bei 393 Feuchtigkeit, bei 187 brüchige Wände und Decken, bei 143 verrottete Fenster, bei 181 schadhafte Aborte, bei 96 ungenügende Abfallbeseitigung und bei 23 sogar fehlende Wasserzapfstellen. ”, Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 273.
[306]Vgl. Terz, 4/92, S. 20.
[307]Und das bei einem durchschnittlichen Wochenlohn von 21,75 Mark (1932) - vgl. mit dem Kapitel “Wirtschaftliche und soziale Situation” (in Weimar)
[308] Terz 4/92, S. 21.
[309] Ebenda, S. 21.
[310] Ebenda, S. 21.
[311] Ebenda, S. 21.


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