1.3 Die postfordistische [95] Phase (ab Mitte der siebziger Jahre)

Die seit Mitte der siebziger Jahre dominierende flexible Akkumulationsstrategie zeichnet sich durch technische Entwicklungen im Bereich der Mikroelektronik und neue Produktionskonzepte mit stark ausgeweiteten Rationalisierungsmöglichkeiten aus. Die ‘just-in-time’-Produktion baut unnötige Lagerkapazitäten ab und ist stark von Nachfragestimulation bzw. -kreation abhängig. Damit verbunden ist eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten der Beschäftigten. Den immer kleiner werdenden, hochqualifizierten Kernbelegschaften mit hohen Einkommen steht die größer werdende Gruppe der ‘freien’ Selbständigen sowie der vollständig aus dem Arbeitsleben ausgegliederten Personen gegenüber. [96]
Im Hinblick auf die Konsequenzen dieser neuen Akkumulationsweise für die räumliche Neuordnung der Städte gibt es noch keine endgültigen Erkenntnisse, wenngleich einige Entwicklungstendenzen schon seit etlichen Jahren zu beobachten sind.
“Sicher ist bisher nur dreierlei: daß erstens die Städte entsprechend ihrer jeweiligen traditionellen Wirtschaftsstruktur in unterschiedlichem Maß mit Betrieben der neuen Wachstumsbranchen ‘gesegnet’ sind; daß zweitens die neuen Wachstumsbereiche, die im Forschungs- und Dienstleistungssektor liegen, Raum für die Expansion benötigen und hierbei eine Präferenz der Stadtmitte vorzuherrschen scheint; daß drittens dort, wo eine Häufung solcher Wachstumsbranchen zu verzeichnen ist, die Bodenpreise erheblich gestiegen sind und zusammen mit nachlassenden Aktivitäten im sozialen Wohnungsbau zu einer neuen Wohnungsnot bei mittleren und unteren Einkommensgruppen geführt haben .”[97]
Die Ansiedlung von Dienstleistungsbetrieben in den innerstädtischen Bereichen führt zu massiven Wertsteigerungen des Bodens und zur Vernichtung von preiswertem Wohnraum, einerseits durch die Betriebe selbst, andererseits aber auch durch die Modernisierung und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Es kommt zur Verdrängung der “innerstädtischen Wohnbevölkerung durch Unternehmen und die Verdrängung ärmerer durch wohlhabendere Schichten ”.[98]
Trotz unterschiedlicher ökonomischer Ausgangspositionen der Städte [99] sind die städtebaulichen Konsequenzen prinzipiell überall die gleichen. Abhängig von der Attraktivität der Städte für die neuen, expandierenden Wirtschaftssektoren steht lediglich die Frage im Raum, wer “Vorreiter einer neuen städtebaulichen Entwicklung wird und wer nachhinkt .”[100]
Ihren ästhetisch-architektonischen Ausdruck findet die Inbesitznahme der City durch Dienstleistungsunternehmen und die dazugehörigen Angestellten in einer neuen Architekturrichtung, die sich nicht mehr wesentlich am Funktionalismus [101] orientiert. Die postmoderne ‘Collage City’ [102] verbindet Vergangenes mit Zukünftigem, ökonomische Notwendigkeiten mit ‘weichen Standortfaktoren’. [103] “Altbauwohnungen sind wieder in, Fassaden werden nicht mehr möglichst praktisch mit Plastikramsch, sondern möglichst schön mit edlem Material renoviert. Baulücken werden nicht lediglich funktional aufgefüllt, Neubauten werden ‘gestaltet’ .”[104] Die ‘schmuck’ restaurierten Fassaden der luxusrenovierten Wohnhäuser, in denen immer weniger und dafür besser verdienende Menschen wohnen, [105] schaffen - zusammen mit den postmodern gestalteten Zentralen der Ministerialbürokratien, Banken, Versicherungen und produzierenden Unternehmen der ‘High-tech’-Wachstumsbranchen - neue Innenstädte: “So wie die feudalen Missionare des Mittelalters ihre christlichen Kirchen auf den Grundmauern der Tempel der Volksreligionen errichteten, so entstehen heute die Großbauten der öffentlichen und privaten Administration meist dort, wo etwas anderes planiert worden ist .”[106]
In dieser Phase der flexiblen Akkumulation konkurrieren zwei städtebauliche Konzepte miteinander:

Es ist nicht unwahrscheinlich, “daß sich die beiden heute dominanten städtebaulichen Konzeptionen der Postmoderne und der Ökologie langfristig vermischen. (...) Ob jedoch die heutigen Konzeptionen, die zunächst nur Spiegelbilder der ökologischen und ästhetischen Krise und neuer Kräfteverhältnisse in der [post]fordistischen Gesellschaft sind, im Blick zurück aus der Zukunft einer neuen Stadt als hinderliche Zerrbilder oder erhellende Wunschbilder für die folgende gesellschaftliche Entwicklung gesehen werden, hängt entscheidend von dem demokratischen Potential der künftigen Gesellschaft und seiner Möglichkeit ab, die baulich-räumlichen Strukturen der Stadt als Widerspiegelung der gesellschaftlichen Vielfalt zu gestalten .”[109]


[95] Vgl. Kap. C. IV. 1.2.1 (Neoliberalismus und Deregulierung).
[96] Vgl. Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum,
S. 60 ff.
[97] Ebenda, S. 61.
[98] Ebenda, S. 61.
[99] Zur Zeit ist die explosive Entwicklung der neuen Branchen und der damit verbundene ökonomische Wachstumsdruck nur in relativ wenigen deutschen Städten zu beobachten, während viele Städte noch relativ unattraktiv für die Ansiedlung “von Gewerbe- und Dienstleistungsbereichen mit hohen Wachstumsraten (...) sind. Dementsprechend ist die Arbeislosenquote unterschiedlich”, ebenda, S. 61.
[100] Ebenda, S. 61.
[101] “Das Einsparen von Zeit mit Hilfe des Autos bei räumlicher Expansion scheint überholt. Es kollidiert mit neuen Vorstellungen in Ökonomie, Ökologie und Ästhetik über die angemessene Verknüpfung von Raum und Zeit. Das Potential des städtebaulichen Funktionalismus an baulich-räumlichen Lösungen für die Probleme in unseren Städten scheint ausgeschöpft und erschöpft”, ebenda, S. 60.
[102] “Dadurch, daß sich die Methode der Collage auf Vergangenes und Utopisches gleichzeitig beziehen kann, überwindet sie das Problem des bisherigen modernen Städtebaus, der immer als Entwertung des Vorhandenen, des Bestandes, antrat”, ebenda, S. 63 ff.
[103] In den Vordergrund treten dabei u.a. die “Ästhetisierung des Stadtbildes und die Inszenierung von ‘Kultur’”, Häußermann, H.,Siebel, W., Neue Urbanität, S. 124.
[104] Ebenda, S. 11.
[105] Vgl. Kap. B. II. 3.3 (Gentrification).
[106] Heinzen, G., Koch, U., Heimat Stadt, S. 17.
[107] Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann, H,. u.a., Stadt und Raum, S. 65.
[108] Vgl. ebenda, S. 65.
[109] Ebenda, S. 65 ff.


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