1.2 Ökonomische und soziale Entwicklung

1.2.1 Die Kriegsfolgen

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ist geprägt von den Auswirkungen des ersten Weltkrieges und des Versailler Vertrages.
Die während des Krieges betriebenen Rüstungsausgaben [203] haben die Möglichkeiten der öffentlichen Hände entscheidend eingeschränkt und notwendige Sozialreformen verhindert. “ An seinem Ende stand ein wirtschaftlich verarmtes, verschuldetes und inflationsbedrohtes Deutschland ”.[204]
Als Folge des Versailler Vertrages verliert Deutschland alle Kolonien, wichtige wirtschaftliche Gebiete wie das Saarland, Teile West- und Ostpreußens sowie Oberschlesiens. Außerdem verlangen die Alliierten Reparationszahlungen in Höhe von zunächst 269 Mrd. Goldmark [205].

1.2.2 Inflation und kurzfristige Stabilisierung

Weitere lähmende Belastungen sind Ausgaben für die Demobilisierung der Truppen, Aufwendungen für die Kriegsopferversorgung, Erwerbslosenfürsorge und die Wiedereingliederung von 6 Millionen demobilisierter Soldaten, sowie 3 Millionen RüstungsarbeiterInnen.


[206]

“Die ökonomischen Belastungen und vor allem die Weigerung der ökonomisch Herrschenden in Industrie und Banken, einen Beitrag zur Schuldenbegleichung zu leisten, und die Schwäche der republikanischen Regierung, diesen Beitrag zu erzwingen, führte dann zu einer verheerenden Inflation, die die sozial Schwächsten in namenloses Elend stürzte und große Teile des selbständigen Mittelstandes ruinierte. Die größten Kriegstreiber und Kriegsgewinnler wurden jetzt auch noch die Nutznießer der Inflation .”[207] Die Hyperinflation von 1923 vernichtet die Ersparnisse von ArbeiterInnen, Angestellten und RentnerInnen genauso wie von unzähligen wohlhabenderen BürgerInnen, Beamten und mittleren Angestellten.
Erst durch die Einführung der ‘Rentenmark’ und massive Kapitalflüsse vor allem aus den USA kann der wirtschaftliche Abwärtstrend ab 1924 gestoppt werden [208]. Mit Hilfe des ausländischen Kapitals wird der “seit zehn Jahren heruntergekommene Produktionsapparat völlig erneuert, und 1929 verfügte Deutschland über den technisch fortgeschrittensten Produktionsapparat Europas.” [209]

1.2.3 Die Weltwirtschaftskrise

Die sogenannte Weltwirtschaftskrise - beginnend mit dem New Yorker Börsenkrach im November 1929 - versetzt der deutschen Wirtschaft nochmals einen herben Rückschlag. Die Zahl der Arbeitslosen steigt von 22,7% der erwerbsfähigen Bevölkerung (1929) auf 44,4% (1932). Im Februar 1932 sind bei den Arbeitsämtern 6,13 Millionen Arbeitslose gemeldet. [210] Für die Jahre nach 1923 ist auf Grund von amtlichen Zahlen “ein Existenzminimum, wie es sich nach offizieller, also nicht etwa gewerkschaftlicher, Ansicht gestalten sollte, berechnet und mit den Durchschnittslöhnen verglichen worden:” [211]


[212]

1.2.4 Die Ernährungssituation

Auch die Ernährungssituation in den ersten Jahren der Weimarer Republik ist für die Mehrheit der Bevölkerung problematisch bis katastrophal: “Während im Weltkrieg der Konsum von Nahrungsmitteln vor allem wegen Warenmangels rapide zurückgegangen war, war er in den Inflationsjahren vor allem wegen der mangelnden Kaufkraft der Werktätigen so abgesunken.” [213] Die Situation ist dermaßen angespannt, daß eine regelrechte “Flucht zu den Nahrungsmittelproduktionsstätten - von der Stadt also auf das Land - einsetzte und Diebstahl von Nahrungsmitteln wie in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einer ‘natürlichen und notwendigen Ergänzung’ des Haushalts wurde.” [214]

1.2.5 Die Wohnungssituation

Eins der Hauptprobleme nach den Krieg ist die Wohnungssituation. Während des ersten Weltkriegs hatte die Bautätigkeit immer mehr nachgelassen. Das hat nun zur Folge, daß die Wohnverhältnisse, die sich bis 1913 leicht gebessert hatten, in den Jahren 1918/19 für eine große Zahl von ArbeiterInnen und kleinen Angestellten unerträglich sind. Für 1925/26 gibt eine amtliche Schätzung des Reichsarbeitsministeriums ein Defizit von 600.000 Wohnungen an. Das statistische Reichsamt errechnet sogar, daß “etwa eine Million selbständiger Haushaltungen ohne eigene Wohnung waren .”[215] Nach einer Wohnungszählung im deutschen Reich vom 16. Mai 1927 sind in Gemeinden über 5.000 EinwohnerInnen 6,4% aller Haushalte ohne eigene Wohnung. In Großstädten beträgt diese Zahl sogar 10,3% [216].


[203] Ca. 165 Milliarden Goldmark.
[204] Ripper, W., Weltgeschichte im Aufriß, S.242.
[205] 1921 einigten sich die Alliierten schließlich auf 132 Mrd.Goldmark.
[206] Reichsmark/Rentenmark im Verhältnis zum US-Dollar, vgl. Hug, W., u.a., Geschichtliche Weltkunde, Band 3, S.74.
[207] Scharrer, M., Kampflose Kapitulation, S. 10.
[208] Z.B. in Form der sog. “Dawes-Anleihe”, durch die US-Kapital nach Deutschland floß und das Land wieder in die kapitalistische Weltwirtschaft eingegliedert werden sollte. Gleichzeitig wurde der sowjetische Markt Deutschland zur Realisierung von Profiten überlassen, mit denen u.a. die Reparationen an Frankreich und England gezahlt werden sollten. Vgl. auch: Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Band 5,
S. 20 ff.
[209] Kuczynski, J.,Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Band 5, S. 22
[210] Ebenda, S. 93 ff.
[211] Ebenda, S. 361
[212] Ebenda, S. 361.
[213] Ebenda, S. 373
[214] Ebenda, S. 375
[215] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 207.
[216] Vgl. ebenda, S. 207 ff.


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